Ode an die Offense Line

„Running backs dance and running backs flirt, while linemen crawl and eat dirt.” – So beginnt jene Ode eines unbekannten Autors, die wohl besser als jede andere gegenüberstellt, was Eingeweihte Wissen, Halbwissende erahnen und worüber Unwissende noch nie nachgedacht haben.

Die Saison 2005 war bekanntermaßen eine harte Probe für die Snipes Cougars. Mit geeinten Kräften wurde dennoch das Unmögliche möglich gemacht – die Klasse wurde am letzten Spieltag gehalten und die Mannschaft konnte allen Unkenrufen zum Trotz zusammen gehalten werden. Die auferlegte Prüfung wurde angenommen und bestanden. 2005 war aber auch das Ende einer Ära, einer Legende – einem Lübecker Phänomen, für das die Cougars über Jahre respektiert, beneidet und nicht zuletzt auch gefürchtet wurden. Schon in den „guten, alten Tagen“, von denen in den buntesten Farben immer dann gesprochen wird, wenn alte Haudegen den „Greenhorns“ erzählen, wie „echte Männer“ den Sport gespielt haben, waren es immer wieder Lübecker Exponate, die dem einen oder anderen Defense Coordinator Sorgenfalten auf die Stirn trieben.

Herrausragend war in diesen Tagen sicherlich OT Heiko „Hightower“ Nagel, der ausgestattet mit einer beeindruckenden Physis, einer unglaublichen Naturkraft und vor allem einem großen Kämpfer- und Footballherz nicht nur nach damaligen Gesichtspunkten der Prototyp eines Offensive Linemans war. Flankiert von den Guards Boris Goretzki und Ingmar Mihr sowie Center Timo Schür und OT Thomas Scharff war „Hightower“ dann auch Teil der Lübecker Ur –Offensive - Line, die den Grundstein für eine Legende legte.

Die Zukunft mit zu gestalten und den Schritt in die „Footballneuzeit“ zu machen war dann aber OT Thomas Scharff vorbehalten. Er war nicht nur der erste Lübecker OL Spieler, der Jahr für Jahr den Offerten anderer Clubs widerstand, sondern Scharff war es auch, der Mitte der neunziger Jahre eine Handvoll Diamanten fand , schliff und so wesentlich mitgestaltete, was sich kein halbes Jahrzehnt später als Schrecken gegnerischer Verteidigungsreihen herausstellen sollte.

Nachdem sich Ende der Neunziger so langsam formierte, was in einer Lübecker Legende, enden und eine Ära begründen sollte, war es spätestens 2001 soweit, über Jahre die Vorherrschaft an der LOS zu sichern. Denkt man an die letzten Jahre, so fallen den Lübecker und auch Footballfans außerhalb der Stadtgrenzen vor allem die Namen „Jeremy Clements“ und „Patrick Wischnewski“ ein. Ohne Zweifel – Jeremy Clemens veränderte den Lübecker Offensiv Football. Lübeck entdeckte das Passspiel und neben jungen hungrigen Receivern war dies sicherlich auch Verdienst von Clemens, dass dieser Umschwung realisierst werden konnte.

Der Erfolg begann aber woanders – ganz vorne, an der Line of Scrimmage, agierte dominant, was die letzten Jahre gewachsen war. Die von Thomas Scharff schon in der Jugend zusammengestellte Line hatte sich auch im Herrenbereich etabliert. Um den überragenden OT Fabian Zellner ergänzt, spielte diese Truppe zur ersten Zweitligasaison schon ein halbes Jahrzehnt Seite an Seite. Jeder kannte die Stärken und Schwächen des anderen und so war es die Offense Line, die Clements zu so grandiosen Statistiken kommen ließ. In den Jahren 2003/2004 mussten in den gesamten Pflichtspielen nur 3 Quaterback Sacks hingenommen werden.

Ein eindrucksvoller, objektiver Beweis für die Abstimmung und die Stärke der Lübecker Passprotection. Hier war es insbesondere OT Fabian Zellner, der an die alte Tradition anknüpfte. Zellner trat bis zu seiner schweren Verletzung im Sommer 2005 in über 120 Spielen in Folge an und neidlos wird jeder seiner bisherigen Gegner eingestehen, dass er nicht nur zu den Besseren sondern zu den Besten seiner Zunft gehörte. So konnte beispielsweise auch DE Elzie Anderson in einem Freundschaftsspiel lediglich einen Sack erzielen. NFLE Veteran Anthony Doghmi kam in zwei Aufeinandertreffen zu keinem einzigen Sack.

Aber trotz des neu entdeckten Passspieles war es auch weiterhin das Laufspiel, mit dem die Cougars für Furore sorgten. Ein sich kontinuierlich verbessernder Patrick Wischnewski war es, der in den Jahren 2003 und 2004 (deutscher) Topscorer in der 2. Bundesliga wurde und sich so für die NFLE empfiehl. Neben Phil Stursberg schaffte er den Sprung in den professionellen Football, konnte sich allerdings im Gegensatz zu Stursberg leider nicht durchsetzen und kam dort über Special Teams Einsätze nicht hinaus. Dennoch natürlich eine mehr als respektable Leistung und der Unwissende wird ihn dann auch zum Vater des Offensiverfolges erkoren haben.

Aber wie bei dem erstarkten Passspiel waren die wahren Gründe einige wenige Meter weiter vorne zu finden. Jahr für Jahr, Spiel für Spiel, Spielzug für Spielzug waren es die um Center Andre Raabe formierten Thomas Kappes, Fabian Zellner, Stephan Stursberg, Sascha Modest und später Mirco Modest, die in Berserkermanier Löcher in die gegnerischen Linien rissen. Nicht nur die beeindruckende Physis, Abstimmung und Einstellung trieben den Gegnern Sorgenfalten auf die Stirn; Jahr für Jahr wurde meist die komplette Line von den „Großen“ in Footballdeutschland umworben. Immer und bis zum heutigen Tage erfolglos bissen sich Scouts und Teammanager an dem Haufen die Zähne aus, der trotz aller Höhen und Tiefen immer den Cougars die Treue hielt.

Die schönsten Komplimente waren aber immer die der sportlichen Gegner. Waren die Vermutungen von „Atomkraftwerken“ im Lübecker Umland oder von „Futterzusätzen“ die weniger sachlichen, so hörte man sich Lobhymnen a la „Den Wischnewski hatten wir auf dem Zettel und wir hätte ihn stoppen können. Aber egal wie lange wir vor den Videos gesessen haben – gegen Eure OL haben wir kein Mittel gefunden!“ verschiedenster DCs noch lieber an. Wie dem auch sei – wie jede Legende musste auch diese ein Ende finden. Geträumt hatte die Truppe um Raabe, Zellner und Co. immer, gemeinsam von der Bühne zu gehen – in einem grandiosen Abschiedsspiel – ein letztes Mal zuschlagen und dann vor heimischen Publikum mit Krokodilstränen in den Augen abtreten…

Aber es sollte anders kommen. Schon im ersten Spiel verletzte sich Sascha Modest so schwer, dass schon kurz nach der OP klar war, dass er nie wieder in „Kampfmontur“ den heiligen Rasen betreten würde. Ein Schlag, der insbesondere die Offense Line erschütterte – einer der ihren war raus. Plötzlich fehlte nicht nur ein guter Athlet sondern ein Leader, einer der die Jungs bei der Hand nehmen konnte. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Einige Spieltage später verletzte sich Fabian Zellner so schwer, dass die Saison beendet war. Auch bei Zellner folgte eine komplizierte OP. Und wieder wurde der OL ein Stück Herz rausgerissen.

Unglücklicherweise folgten in dieser Saison noch verschiedenste schwere Verletzungen und natürlich waren es die Gesamtumstände, die den Erfolg kriseln ließen. Letztlich war aber der Mannschaftsteil, der den Erfolg über Jahre maßgeblich vorangetrieben hatte, physisch und mental mitten ins Herz getroffen… Sascha Modest war gezwungen in den Coaching Stab zu wechseln und auch Zellner wird nie wieder in die OL zurückkehren. Eine Legende ist zu Ende – ein großer Abschnitt der Cougars hat ein Ende gefunden. Wie im wahren Leben hat aber auch diese Legende eine zweite Seite… Begünstigt durch die widrigen Umstände wurde ein Generationenwechsel eingeleitet, der in den kommenden Jahren wieder Garant für ein gutes Lauf- und Passspiel sein wird.

Neben den verbliebenen Säulen mussten die jungen Mario Modest, Mario Förster und Martin Meßwarp in die Bresche springen. Dabei konnte besonders Förster schon gewaltige Akzente setzen. Schaffte er doch den Sprung aus der Jugend zu einem Starting OG in der zweiten Bundesliga. Und die Zeichen stehen aufgrund des besonderen Willens von Förster auf Fortschritt. In Lübeck hat man immer und wird man immer ein besonderes Augenmerk auf eine starke Offense Line legen. Dass dieses in der Vergangenheit gelungen ist, hat diese Ode gezeigt. Dass dieses auch in der Zukunft gelingen wird, zeigt die erfolgreiche Jugend und die jungen OL um Förster, Meßwarp und Co… So ist man sich sicher, schon wieder an einer neuen Legende zu stricken und auch weiterhin attraktiv für Quarterbacks und Running Backs sein zu können – denn der Erfolg beginnt ganz vorne…

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